Hofheim am Taunus, 10. Juli 2019 – Die Übersicht der Tagesgeldzinsen mutet seit Jahren an wie der Anblick vertrockneter Weiden, die so schnell nicht nachwachsen werden. Doch anstatt weiterzuziehen, um neues Weideland zu finden, stehen viele deutsche Sparer mit über sechs Billionen Euro wie bewegungsunwillige Schafe weiter auf dem kahlen Zinsboden von nahezu null Prozent. Rational ist das bei einer Inflation von nachhaltig deutlich über einem Prozent abschließend nicht zu erklären. Nachvollziehbare Argumente für dieses „störrische“ Verhalten hört man als Berater aus ganz unterschiedlicher Anleger-Perspektiven und zu jeder Zeit zuhauf. Doch Hintergrund ist im Wesentlichen ein psychologisches Phänomen: ausgeprägte Verlustängste.

Die daraus resultierenden Unzulänglichkeiten in der privaten Vermögensanlage in Verbindung mit der weltweit höchsten Steuer-, Abgaben- und Energiekostenquote führen dazu, dass die Deutschen seit Jahren im EU-Vergleich regelmäßig einen der hinteren Plätze beim Pro-Kopf-Vermögen belegen. „Das reiche Deutschland gibt es nur im Koalitionsvertrag“ titelte Die Welt nach der letzten EZB-Vermögensstudie in 2018.

Viele Deutsche horten lieber, anstatt zu investieren.

Besonders aufschlussreich für die sehr beschränkte Risikoneigung hierzulande ist die deutsche Aktienkultur. Weniger als zehn Prozent der Deutschen halten Aktien. So sind Zweidrittel der deutschen Aktien in der Hand ausländischer Investoren. Stattdessen nutzen weiter etwa 50 Prozent der Deutschen bevorzugt Giro- und Tagesgeldkonten zur Geldanlage. Und Deutschland ist in Zeiten der Eurokrise längst zum Land der Goldanleger geworden. Auch im internationalen Vergleich des Anlegerverhaltens zeigt sich eine stark ausgeprägte Ängstlichkeit des deutschen Privatanlegers. „Verlasst die kahlen Weiden, sonst werdet ihr irgendwann verhungern – oder ggf. solange arbeiten müssen, bis es nicht mehr geht!“ kann nur der stetig zu wiederholende Apell lauten. 

Doch das Verlassen des bekannten und scheinbar sicheren Weidegrunds bedeutet unweigerlich Risiken einzugehen und unbekannte Sphären zu betreten. Vielleicht braucht es wirklich erst, wie es längst geldpolitisch durchdacht wird, stark negative Zinsen auf private Kontoguthaben bevor sich die Herde in Bewegung setzt?

Die tiefen Wurzeln der Angst

Kollektive Erklärungsansätze werden dem Individuum Mensch zumeist nicht gerecht. Doch der Vergleich von unterschiedlichen Kollektiven zueinander ergibt trotzdem interessante Erkenntnisse über den Mensch und seine Psyche. So sind Männer in der Regel risikobereiter als Frauen und Südeuropäer durchschnittlich deutlich risikofreudiger als Nordeuropäer. Hat das menschliche Risikoprofil gegebenenfalls erbliche bzw. genetische Ursachen?

Der Göttinger Professor für Psychiatrie Borwin Bandelow etwa, der sein Augenmerk auf kollektive Angstphänomene legt, beantwortet diese Frage eindeutig mit „Ja!“. Der Deutsche sei insgesamt vorsichtiger. Die Gründe hierfür lägen viel tiefer, als wir es vermuten würden und haben wenig mit den Ereignissen des ersten und zweiten Weltkriegs oder der Hyperinflation zu tun. Die Ursachen dieser genetischen Disposition, die hierzulande den Neocortex schneller aufschreien lässt, ginge Jahrtausende zurück. Nachdem unsere Vorfahren aus dem Raum des heutigen Äthiopien auch in die nördlicheren Gebiete Europas vorgedrungen waren, hätten nur die Vorsichtigeren, Vorausschauerenden die extremen klimatischen Herausforderungen mit großen Vorräten und Sparsamkeit überlebt. So hat die Evolution bzw. die natürliche Auslese uns Deutsche geformt. Gleiches gilt übrigens auch für Norweger oder Schweden.

Interessant ist jetzt aber zumindest der Vergleich zum deutlich mutigeren Anlageverhalten der so genannten „Angelsachsen“. Die Angeln und die Sachsen waren zwei große germanische Stammesverbände, die sich aus den nördlichen Gefilden Europas vor allem im 4. Jahrhundert nach Christus auf den Weg nach Britannien machten und das dortige Siedlungsgebiet bald dominieren sollten. Jahrhunderte später waren es wiederum vor allem ihre Nachfahren, die das Gebiet der heutigen USA besiedelten. Hier finden wir eine völlig andere Aktienkultur vor als in Deutschland. Wie ist das zu erklären?

Nun, entweder sind im Rahmen der großen Völkerwanderungen im nördlichen Europa tatsächlich wieder nur die Vorsichtigeren (auf ihren Weiden) zurückgeblieben oder unsere Vorfahren der letzten 200 Jahre haben mit ihren Erfahrungen und Prägungen die ursprüngliche Angst-Disposition doch noch einmal verstärkt.

Die entscheidende Aufgabe lautet: Ängste überwinden und der Situation anpassen!

Sei es, wie es sei. Es gilt an dieser derart vorsichtigen Einstellung im Geldanlegen dringend etwas zu verändern! Denn es wird nichts nützen, eine vergleichbar trotzige Position wie jene des deutschen Bundesbankpräsidenten Jens Weidmann einzunehmen, der die Niedrigstzins-Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) regelmäßig zu kritisieren vermag und eine Abkehr zu höheren Zinsen fordert. Wir sind über das Euro-Währungskonstrukt eine Gemeinschaft mit zahlreichen völlig anders denkenden Nationen im Süden Europas eingegangen, die ein anderes Verständnis von Sparen, Vorsicht und Zeitpräferenz haben. Es soll hier nicht um besser oder schlechter gehen.

Aber es sollte jedem „Nordlicht“ klar sein, dass diese Gemeinschaft ganz erheblich über ihre Verhältnisse gelebt hat. Dabei ist ein üppiger Schuldenberg entstanden, der in Kombination mit einem viel zu schwachen Wirtschaftswachstum ein gemeinschaftliches Problem bleiben wird. Und das lässt sich eben nur mit Niedrigst-Zinsen in die Zukunft aufschieben – sonst droht zeitnah der totale Bankrott.

So passt diese Kreatur einer Währungsunion rein gar nicht zum Wirtschaftsverständnis der Deutschen oder Norweger. Doch sie sind nun aufgefordert, sich diesem „monetären Klimawandel“ intelligent anzupassen und sich den Mut ihrer angelsächsischen Verwandten zum Vorbild zu nehmen: runter von der kahlen Weide und auf die Suche nach frischen Wiesen! Ein damit verbundenes Aufbrechen festsitzender Denkmuster ist zwar anstrengend aber sehr wohl möglich!

Und diese frischen Wiesen gibt es in Form von globalen Investitionschancen in ausreichender Anzahl. Sie sind begründet durch das menschliche Produktivkapital. An alle, die ihr Geld noch horten: Stellen Sie Ihr Geld bereit, um es in den schöpferischen, produktiven Kreislauf menschlichen Handelns und Wirtschaftens einzubringen. Das können gewisse Anleihen sein, aber im Vordergrund sollten Sachwerte wie Unternehmen, Infrastrukturanlagen oder Immobilien stehen. Haben Sie Vertrauen in Ihre eigene Spezies. Prüfen Sie trotzdem zuvor sorgam die Zukunftsfähigkeit der Investition und verteilen Sie Ihre Gelder thematisch und global.

Fazit

Ich weiß, dass das Tagesgeldhorten einfacher und bequemer ist. Doch diese Weide ist kahl und wird nicht nachwachsen! Und wenn Sie diese Aufgabe nicht selbst erledigen möchten, dann suchen Sie sich einen Lotsen, der Ihnen eine auf Sie zugeschnittene Anlagestruktur erarbeitet. Haben Sie Vertrauen und ein gutes Konzept, sonst werden Sie Ihr Geld real schrittweise verlieren!

Nutzen Sie Ihr Kapital für eine erfüllte Lebenszeit,
Ihr Jörg Haldorn, CFP, EFA