Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

viel wurde und wird weiterhin berichtet über Griechenland. Womöglich können Sie dieses Thema schon nicht mehr hören. Ich hätte viel Verständnis dafür. Und doch möchte ich das Thema aufgreifen – allerdings aus einer Perspektive, die in der täglichen Berichterstattung ungesehen bleibt.

 

Bewertung der nationalen Perspektiven

Apropos „Perspektive“: Zurzeit prallen sehr unterschiedliche Sichtweisen in Europa aufeinander. Auf der einen Seite erachtet es die Mehrheit der griechischen Bürger als völlig inakzeptabel, dass ihnen irgendwelche Bürokraten aus Brüssel oder ausländische Staatsmänner und -frauen die Politik vorzuschreiben gedenken. Da werden von außen politische Vorgaben zu Steuer- und Rentensystem, Staatsbesitz und Budgets gemacht. Wie wir Deutschen das wohl fänden, würde uns das so ergehen?

Wir Deutschen stehen jedoch aktuell auf der anderen Seite mit einem ganz anderen Blickwinkel: Wir sehen Kopf schüttelnd in Richtung Süden Europas und wundern uns über ein ungeordnetes, unproduktives und finanziell untragbares Staatsgebilde, mit einem noch dazu teuren, weil unglaublich komfortablen Sozialsystem. Und ein Großteil von uns empfindet es ebenfalls als inakzeptabel, unfreiwilliger Bürge eines derartigen Schlendrians zu sein.

In der medialen und politischen Diskussion treffen diese Positionen in unterschiedlichen Facetten regelmäßig aufeinander. Instinktiv möchte man sich für eine Sicht entscheiden, doch beide Seiten hören sich auf eine gewisse Weise überzeugend an. Und genauso ist es auch!

Es ist völlig inakzeptabel, dass fremde Dritte Politik in einem eigentlich souveränen demokratischen Staat machen! Und es ist zugleich völlig inakzeptabel, dass ein Volk in die Haftung für die fiskalische Verschwendung der Politikergilde eines fremden Staates genommen wird!

Man muss sich keineswegs für eine der obigen Positionen entscheiden. Meiner Meinung nach sind sowohl die griechische, als auch die deutsche Position ohne Einschränkungen nachvollziehbar.

Inakzeptabel ist in Wirklichkeit die politische Zwangsjacke, die uns allen mit dem Eurogeldsystem vor Jahren übergestülpt wurde. Daraus resultiert ein europäischer Kollektivismus, der sowohl den Griechen, als auch den Deutschen kostbare Freiheit kosten muss. Der Euro stiftet Europa keinen Frieden, sondern er ruft zusehends Spannungen zwischen den Staaten auf den Plan. Und echten Wohlstand kreiert der Euro für die Bürger Europas dauerhaft schon gar nicht – abgesehen von einer kleinen Gruppe an Profiteuren. Es ist vielmehr ein Schein-Wohlstand, gebaut auf maßlosen Schulden. Ein Schuldenberg, der in Zukunft finanziert werden muss und den zukünftigen Wohlstand und das erarbeitete Vermögen bedroht. Der Weg des Euro ist zum schmalen Trampelpfad geworden!

 

Die erste strategische Erkenntnis des Griechenland-Dilemmas

Die Alternative Griechenlands wäre ein zunächst sehr schmerzhaftes Abrutschen vom Euro-Pfad mit dem Fall auf einen Weg der Selbstbestimmung mit eigener Währung und Budgethoheit. Welche abschreckende Wirkung die Angst vor diesen Schmerzen jedoch hat, wurde kürzlich theaterreif inszeniert: Die stark links gerichtete Regierungskoalition um Alexis Tsipras stellte sich den politischen Forderungen der Troika-Gläubigervertreter vehement entgegen. Eine Volksbefragung sollte diese scheinbar konsequente Position legitimieren – und sie tat es denn auch eindrucksvoll. Der Sieg der gefühlten Unabhängigkeit währte jedoch nur wenige Tage, ehe Tsipras höchstpersönlich plötzlich eine 180 Grad-Drehung vollzog, die Widerstandsstellung aufgab, das Referendum damit ad absurdum führte und sogar jenen Parteikollegen mit Konsequenzen drohte, die seine eigens formulierte Position weiter vertraten. In der Konsequenz findet Tsipras nun keine fähige Regierungskoalition mehr vor. Am 20. September stehen Neuwahlen an.

In diesen Tagen und Taten offenbarte sich die ungeheure Machtfülle des Euro-Schuldgeldsystems auf das Deutlichste – aller gekonnter spieltheoretischer Manöver im Vorfeld zum Trotz. Der Druck der kurzfristigen wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen wurde selbst für die durchaus radikalen Gegner der Troika zu groß. Das ist menschlich nachvollziehbar, inhaltlich aber keineswegs.

Die erste strategische Erkenntnis daraus lautet: Wenn sich nicht einmal diese Regierung, in dieser überaus verfahrenen Situation, den Austritt aus dem Eurosystem zutraut, dann wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit zukünftig auch kein anderer in Not geratener Staat tun!

 

Die zweite strategische Erkenntnis des Griechenland-Dilemmas

Auch auf Seiten der Troika und der mitverantwortlichen Parteien und Organisationen zeigen sich erkenntnisreiche Verhaltensmuster.

Versuchen wir uns aber zunächst einmal vorzustellen, wie wir persönlich mit einem Menschen umgehen würden, dem wir über Jahre wiederholt viel Geld geliehen hätten und der die Rückzahlung schuldig bliebe. Der uns stets beteuert hätte, alles Notwendige zu tun, um die Schulden tilgen zu wollen. Und der stets Besserung gelobte. Der aber in Wirklichkeit und nachhaltig nicht bereit ist, sich ausreichend zu ändern, solide zu leben und schließlich einfach wirtschaftlich nicht in der Lage ist, das Geld zurückzuzahlen. Würden wir diesem Menschen neues Geld in die Hand drücken oder würden wir eher denken, dass es nun an der Zeit wäre für einen wirkungsvollen Lerneffekt? Letzteres ist die wahrscheinlichere Alternative.

Der Unterschied zwischen Ihnen oder mir und den Troika-Vertretern ist nur, dass diese Entscheidungs-träger nicht über ihr eigens verdientes Geld entscheiden müssen. Ihre Toleranz ist somit eine ganz andere, zumal das Geld eines dritten Hilfspakets für Griechenland per Knopfdruck einfach da wäre.

Die Troika hat zwar zunächst in Teilen ihren politischen Willen nach Veränderung in Griechenland durchgesetzt – noch sind die Dinge vor Ort im Übrigen längst nicht umgesetzt. Doch sie akzeptiert dafür einen über die kommenden Jahre viel geringeren Primärsaldo Griechenlands. Die Staatseinnahmen werden auf absehbare Zeit nicht ausreichen, um aus eigener Kraft nur die Zinsen zahlen zu können. Die Schuldentilgung bleibt bis auf weiteres unmöglich.

Das seit dem Überbordwerfen der Maastricht-Kriterien stetige Aufweichen der Anforderungen an die Schuldenfähigkeit der Staaten mag, kurzfristig gedacht, human sein. Doch es ist jedenfalls gehörige Skepsis angebracht, ob der Lerneffekt dieser Staaten, wie Griechenland, dadurch ausgeprägt genug sein wird. Vielleicht wollen oder können sie es auch gar nicht wirklich lernen? Im „Normalfall“ einer eigenen Währung wäre es ihr gutes Recht und nicht unser Problem.

Zur zweiten strategischen Erkenntnis: Der Wille der maßgeblichen Politiker in Brüssel und Berlin ist zementiert, diese Eurozone um kein einziges Land preiszugeben. Bedingt durch die inzwischen installierten Rettungsmechanismen und die wirtschaftlich geringe Bedeutung Griechenlands, hätte man ein für Europa verkraftbares Exempel statuieren und das Land mittelbar aus dem Euro drängen können. Es hätte ein warnendes Beispiel, vergleichbar der Lehman Brothers-Pleite, sein können, das zudem längst nicht jene Auswirkungen auf den Kapitalmärkten gehabt hätte.

Etwas ketzerisch kann man zu der Schlussfolgerung gelangen, dass die Eurogruppenvertreter letztlich ein ganz anderes Risiko managen wollten: nämlich das Risiko, dass es Griechenland nach ein paar Jahren mit eigener Währung sehr viel besser gehen könne und dass das Begehrlichkeiten nach Unabhängigkeit in Europas Peripherie wecken könnte. Der Schrecken der wiedergewonnen Freiheit wäre verflogen, der Euro würde Auflösungserscheinungen zeigen.

 

Ableitung der griechischen Erkenntnisse auf die Kapitalmärkte

Griechenland ist eine der wirtschaftlich unbedeutendsten Nationen der Eurozone. Griechenland ist mit einem durchschnittlichen Haushaltsdefizit in den letzten drei Jahren von 8,1 % unproduktiv und mangels Haushaltsdisziplin mit einer Staatsverschuldung von über 170 % des Bruttoinlandsprodukts konfrontiert. Griechenland wird auf absehbare Zeit keine Schulden tilgen können. Trotzdem soll es mit dem Land weitergehen in der Eurozone. Dafür wird neues Geld über neue Verschuldung entstehen.

Die Welt um Griechenland dreht sich leider in dieselbe Richtung: zu wenig produktive Volkswirt-schaften mit viel zu hohen Staatsquoten, stetiger Neuverschuldung und wachsenden Staatsschulden. Laut Prognosen schafft 2015 nur Deutschland einen ausgeglichen Staatshaushalt. Frankreich, als zweit-größte Volkswirtschaft der Eurozone, legt im Jahresmittel ein Haushaltsdefizit von über 4 % vor und kratzt an 100 % Staatsverschuldung. Andere gewichtige Volkswirtschaften, wie Italien oder Spanien, liegen längst darüber. Der Blick raus aus der Eurozone und Europa zeigt die gleichen Schulden-phänomene.

Das politische Ringen um Griechenlands Finanzen ist ein Lackmustest für die Zukunft der Euro-Geldpolitik: Es wird alles unternommen werden, um die Zahlungsfähigkeit der Staaten und den Fortbestand der Währung zu erhalten und einen deflationären Crash zu vermeiden. Das zu 100 % ungedeckte Zentralbank-Geldsystem wird es möglich machen. Es wird in den nächsten Jahren mit großer Wahrscheinlichkeit zur starken Ausweitung der Geldmenge über Neuverschuldung kommen.

In der Folge werden die Zinsen niedrig bleiben, obwohl sich die Bonität der Staaten weiter verschlechtern wird. Investoren werden stetig nach alternativen Wegen zur Anleihe suchen müssen, um Geld zu verdienen. Sie werden auch an der Aktie nicht vorbeikommen. In Immobilien sind sie bereits zunehmend investiert. Marktschwächen, wie aktuell an den Aktienmärkten, sollten als Gelegenheiten zum strategischen Positionsaufbau genutzt werden. Wer hingegen weiter ängstlich abwartet und Cash vor sich herschiebt, wird der Leidtragende sein. Denn die Wirkung niedriger Zinsen führt mit Verzögerung zu niedrigen Renditen bei allen anderen Anlageklassen – ohne dass sich deren Risiken reduzieren werden.

 

Fazit für die Vermögensstrukturierung

Wer es nicht schon längst getan hat, der sollte jetzt aktiv werden und strategisch investieren, um Vermögen auszubauen und zu sichern. Der Weg muss über eine individuell austarierte Strategie führen. Eine sorgsame globale Diversifikation ist unverzichtbar. So zeigte sich ein globales Wertpapier-Portfolio durch die Unsicherheiten um Griechenland kaum beeinträchtigt.

Die Bonitätsbewertung der Anleiheauswahl sollte trotz Wirken der EZB kritisch bleiben. Realwerten ist, individuell justiert, ein gewichtiger Anteil an der Vermögensstruktur zu geben. Sie sollten zugleich nicht nur aus Immobilienanlagen, sondern unbedingt auch aus der Aktie bestehen.

Die Welt ist zwar voller Schulden und wie immer auch voller Risiken. Doch sie ist vor allem auch in Zukunft voller Chancen und Gelegenheiten, die es zu nutzen gilt! Wir stehen Ihnen dafür und für Ihre Vermögensausrichtung bereit.

 

Jörg Haldorn, CFP

Hofheim am Taunus im August 2015