Hofheim am Taunus, 20. Mai 2020 – Die aktuelle wirtschaftliche Situation meißelt so manche Sorgenfalte auf die Stirn. Doch noch mehr Kopfzerbrechen bereitet mir die Frage der nachhaltigen Finanzierung all der erforderlich gewordenen historischen Rettungsmaßnahmen in Billionenhöhe.
Ein Wirtschaftsumfeld, mit der wohl stärksten Rezession der Nachkriegsgeschichte und massiver staatlicher Neuverschuldung, trifft nun auf eine historisch hohe globale Verschuldung in Höhe von 255 Billionen US-Dollar. Nach Daten des internationalen Bankenverbands Institute of International Finance (IIF) waren das zum Jahresende 2019 322 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Genau das zu vermeiden, war eines der dringlichsten politischen Ziele der zurückliegenden Jahre. Covid19 ist nun ein exogener Schock, der dieses Drohszenario unausweichlich machte.

Manche viel beachteten Crash-Prognostiker sehen durch diese Pandemie endgültig den Kollaps der Wirtschaft und Finanzmärkte bevorstehen. Der Konsum derartiger Ausblicke vergrößert Ängste und Sorgen im Kundenkreis. Deshalb möchte ich im Corona-Kontext zuallererst dezidiert Stellung zu der zentralen Fragestellung beziehen, ob unser Wirtschaftssystem, als unsere ökonomische Lebensgrundlage, überhaupt eine ernsthafte Überlebenschance hat. Vorweg sogleich die positive Kunde: diese Überlebenschance ist gegeben! Doch sie verlangt nach äußerst unkonventionellen Maßnahmen.

Fahrt im Starknebel
Unser Leben gleicht zurzeit einer Fahrt durch starken Nebel bei dichtem Verkehr. Die Sicht nach vorne ist ganz erheblich eingeschränkt und das Navigationssystem noch dazu außer Betrieb. Und im Auto, das urplötzlich wieder als Vehikel des Individualverkehrs allgemeine Wertschätzung zurückgewinnt, sitzen Mitfahrer, die ganz unterschiedliche Streckenverläufe vermuten. Die einen warnen vor einer angeblich noch vor uns liegenden gefährlichen zweite (Boden-)Welle und fordern Tempo 30. Die anderen sind davon überzeugt, dass das vor uns liegende Streckenprofil wieder stetiger sein wird und eine höhere Geschwindigkeit erlaubt. Diese enorme Divergenz der Sichtweisen findet sich bei Epidemiologen und Virologen aber auch unter den Ökonomen und Kapitalmarktbeobachtern. Auch einem Warren Buffet bleibt derzeit nur die Erkenntnis „…das Spektrum der Wahrscheinlichkeiten oder Möglichkeiten auf der wirtschaftlichen Seite ist immer noch außerordentlich breit.”

Was also jetzt tun? Die Fahrt sicherheitshalber unvermittelt einstellen? Welches Risiko ist das größere: ein dadurch provozierter Auffahrunfall oder die Weiterfahrt? Einige ganz erhebliche Unfallschäden hat der Starknebel jedenfalls bis hierher schon hinterlassen. Doch wird die Weiterfahrt noch in der (ökonomischen) Massenkarambolage enden?

Vorsicht: Motorschaden droht!
Die Fahrt durch den dichten Nebel wäre eine deutlich angenehmere, müsste man sich nicht zudem noch ernsthafte Sorgen um den Zustand des Motors machen. Und hiermit möchte ich auf unser Geldsystem überleiten, das inzwischen seit vielen Jahren regelmäßig Gegenstand meiner Kommentare ist. Genauer gesagt, ist das Geldsystem die Kraftstoffpumpe, die seit einer Weile Defekte zeigt. Sie dient dazu, den Kraftstoff (das Geld) in der erforderlichen Menge sowie mit dem dafür notwendigen Druck in den Motor (unsere Wirtschaft) zu befördern. Fiele diese Pumpe jedenfalls aus und das Auto bliebe auf der Strecke stehen, wäre die Massenkarambolage wohl unausweichlich.

Von der kurzen Motorkunde zur ebenso knapp skizzierten Funktionsweise unserer Währung. Jede Einheit Geld entsteht durch eine Einheit Kredit. Geld ist also gleich Kredit, verbunden mit einem Zins. Der Wert des Geldes hängt demzufolge am Kreditnehmer. Kann der keine Zinsen mehr zahlen oder das Geld bzw. den Kredit nicht mehr zurückzahlen, sind diese Geldeinheiten im allerwahrsten Sinne des Wortes nichts mehr wert.

Seit fünf Jahren haben wir in der Eurozone nun, verbunden mit einem enormen Schuldenwachstum, einen Leitzins von null Prozent. Manche systemrelevanten Schuldner, und das sind inzwischen einige, werden so bei überschaubarem Wirtschaftswachstum am Leben erhalten. Da stimmt mit der Kraftstoffpumpe offensichtlich schon eine ganze Weile etwas nicht mehr! Noch dazu hat sie dabei über die Zeit andere Bestandteile des Motors „Wirtschaft“ in Mitleidenschaft gezogen. Doch auf diesen Motor sind wir in der aktuellen Situation ganz besonders angewiesen, um die Fahrt in Richtung unserer persönlichen Ziele fortsetzen zu können.

Ein Besuch in der Werkstatt offenbarte längst die ungute Diagnose: diese Kraftstoffpumpe in Gestalt des Zentralbankgeldwesens, des Modells Monetarismus, taugt für längere Strecken eigentlich nicht mehr. Sie müsste dringend ausgetauscht werden. Eine Art „Werkstattbericht“ hatte ich letztes Jahr in meinem Juni-Kommentar erstellt (https://www.zaldor.de/blog/archiv/wie-waers-denn-mal-mit-einer-ganz-neuen-waehrung/).

Bedingt durch die Kraftstoffpumpe „Geldsystem“ droht dem Motor der Totalschaden. Doch die technischen Möglichkeiten einer Reparatur sind noch nicht ausgeschöpft. Dazu muss man zunächst genau wissen, wie die Kraftstoffpumpe gebaut wurde, um dann fleißig am Motor herumzuschrauben und einige wesentliche Einstellungen anders zu justieren – Anleitung folgt.

Ein Geldsystem der Krisen
Unser Geldsystem ist aus den Erfahrungen vergangener tiefer Krisen heraus geradezu für ebensolche Situationen geschaffen worden. Man könnte genauso gut sagen, dass es die Krisen vergangener Dekaden erst ausgelöst hat. Aber das wollen wir jetzt nicht weiter ausführen. Die Installierung von Zentralbanken und die sukzessive Loslösung von jeglicher Deckung im Laufe des 20ten Jahrhunderts führte zur folgenden Grundkonzeption: Es existieren zentrale Stellen, an denen aus dem Nichts so genanntes Fiat Money entsteht – und zwar bei Bedarf per sofort und unbegrenzt. Und wenn es keine andere Lösung mehr gäbe, könnte man dieses Geld, das zugleich (noch) Kredit ist, dort ebenso gut auch wieder ins Nichts zurückführen. Das sind ganz entscheidende Erkenntnisse, um diese Kraftstoffpumpe zu verstehen und um sie noch einmal reparieren zu können. Und das würde tatsächlich funktionieren, wenn man denn wesentliche Einstellungen jetzt variieren würde.

Um dieser fragwürdigen Systematik des heutigen Geldes einen seriösen Anstrich zu geben, wurden allerlei Regeln bzw. Gesetze aufgestellt, die zum disziplinierten Umgang mit diesem ungeheuren Kraftwerk führen sollten. Doch mit dieser Maschine verhielt es sich wie mit dem Nutellaglas im Schrank. Die Verlockung war stets zu groß. Die aufkommenden Leiden einer Rezession wurden nur allzu gern mit frischem Geld bzw. Kredit gelindert. Die einst guten Vorsätze in Form von Gesetzen und Kriterien wurden immer lästiger und nach und nach weggestrichen. Ich erinnere, exemplarisch für viele andere Vorgänge dieser Art, an die Aufhebung des Bretton-Woods-Abkommens (https://de.wikipedia.org/wiki/Bretton-Woods-System) durch Präsident Nixon, was der damaligen Währungsordnung die letzte Golddeckung kostete. Oder aber an die Kriterien des Maastricht-Vertrags (https://de.wikipedia.org/wiki/EU-Konvergenzkriterien), die in der Eurozone zu Finanzdisziplin führen sollten, aber längst Geschichte sind.
Dieser, nennen wir es einmal höflich, „Geld-Pragmatismus“, verlangt jetzt als Antwort auf dieses wirtschaftliche Schockereignis eine noch großzügigere Gangart. Abbildung 1 visualisiert den globalen Status quo der Superlative an Rettungsmaßnahmen zum Stand 10. April 2020. Diese „Rettungs-Bubbles“ werden im Laufe der kommenden Monate weiter aufgeblasen.

Abbildung 1: Globale Finanzhilfen in der Corona-Krise, Status 10.04.2020

Schenkt!
Abbildung 1 zeigt, dass in Q1 2020 kräftig Sprit getankt wurde. Unsere Kraftstoffpumpe läuft am Anschlag. Doch noch gibt es nur erste zarte Ansätze in der Eurozone zu erkennen, die notwendigen Reparaturen bzw. Neujustierungen an diesem Gerät vorzunehmen, um diesen Motor noch für längere Strecken ausrichten zu können. Die Sofortkredite etwa für die deutschen Unternehmen tragen Zinsen von 1,5 bis 3,0 Prozent und sollen innerhalb von sechs Jahren getilgt werden. Für viele wird das nicht machbar sein, vernichtete Umsätze per Kredit zu finanzieren, ohne die lebensnotwendige Substanz veräußern zu müssen. Das gilt für Unternehmen gleichermaßen wie für ganze Staaten, auf der darüber liegenden Finanzierungsebene.
Die derzeit debattierten Themenstellungen der Verschuldungsgestaltung (z.B. Corona-Bonds oder Krisenfonds) und deren Haftung sind die falschen Stellschrauben im Rahmen der Reparatur.

Der Motor „Wirtschaft“ verträgt das für die Corona-Hilfsmaßnahmen erforderliche Schuldenvolumen schlicht nicht mehr! Zumindest, wenn man Schulden mit den Begriffen „Zinsen“ und „Tilgung“ verbindet. Es geht hier und jetzt nur noch mit Schenkungen, will man unsere ökonomische Lebensgrundlage „Wirtschaft“ am Laufen halten. Diese ernüchternde Erkenntnis setzt sich hoffentlich recht bald durch, sollte dies nicht insgeheim längst geschehen sein!
Der jüngst durch Frau Merkel und Herrn Macron vorgeschlagene 500 Milliarden Euro schwere Aufbauplan für die Europäische Union (EU) deutet jedoch an, dass man allmählich die richtigen Schrauben zu drehen beginnt. Beide bringen plötzlich Zuschüsse statt rückzahlbare Kredite ins Gespräch. Doch es kommt sofort zum Streitgespräch, da die Neuverschuldung nur auf die Ebene der EU verlagert werden soll. An dieser markanten Stelle wird sichtbar, welche weitere Schraube zu drehen wäre: die Staaten(Gemeinschaft) selbst bräuchte frisches Geld ohne Kredit.

Das Problem liegt aber wohl eher in der Kommunikation. Wie soll man großflächige Geldschenkungen den rechtschaffenden Menschen erklären? Man könnte es mit der Ausnahmesituation dieser Pandemie begründen. Doch daraus könnte sich ein zweifelhafter Lerneffekt einstellen: es bräuchte zukünftig nur eines Anlasses, um großzügige Schenkungen zu erhalten. Sobald bei uns zuhause inzwischen das Telefon klingelt, legt sich ein Lächeln auf das Gesicht meines vierjährigen Sohnes und er sucht die Nähe zum Tablet. Eigentlich war ausgemacht, dass das nur bei einer Telefonkonferenz meiner Frau aus dem Corona-Homeoffice angedacht war, um für Ruhe zu sorgen. Groß und Klein funktionieren so. Das sollte man also vielleicht doch anders kommunizieren.

Und das wird man wohl auch tun. In etwa so: statt offensichtliche Schenkungen werden offiziell neue Kredite geschaffen, die eine Art „Corona-Siegel“ tragen. Zins- und Tilgungsmodalitäten erfahren „Vorzugskonditionen“. Mit gewohnter juristischer Raffinesse werden komplexe Bedingungen formuliert, unter denen dann de facto irgendwann auf eine Rückzahlung verzichten werden könnte. In gewisser Weise wäre das eine konsequente Fortsetzung der geldpolitischen Maßnahmen der letzten Jahre, nur mit eben noch stärkerem Schenkungscharakter.

Daneben wird der ein oder andere Härtefall, wie die Deutsche Lufthansa, um eine (Teil-)Verstaatlichung nicht umhin kommen. Anders geht es nicht mehr!

Technisch gäbe es auch andere Varianten. Die Staaten könnten etwa selber wieder zum Geld-Emittenten werden und die Zentralbank lediglich als Finanzagentur nutzen. Neuverschuldungen bzw. Kreditrückzahlungen an die Zentralbank wären somit hinfällig. Oder aber man installiert das US-amerikanische Rettungskonzept (Link zum Artikel) , indem die US-amerikanische Zentralbank direkt notleidende Unternehmen mittels Zweckgesellschaften finanziert und nahezu das komplette Ausfallrisiko trägt, ohne den Steuerzahler damit zu belasten. Tritt der Kreditausfall ein, verschwindet das Geld an der Quelle der Entstehung zurück ins Nichts.

Fazit
Die zahlreichen Crash-Propheten, die derzeit zunehmend Gehör finden, missachten, dass dieses Fiat Money-Geldsystem letztlich ohne Limit Geld bereitstellen kann, um eine große Deflation und Depression zu verhindern. Genau das war in der großen Depression der 1930er noch anders. Es wird somit keinen Kollaps geben, wenn der Handlungsrahmen dieses Geldsystems politisch auch genutzt wird, um diesem massiven Deflationsdruck Stand zu halten. Und dieser Rahmen wird genutzt werden! Die Präsidenten/in der US-amerikanischen, japanischen als auch der europäischen Zentralbanken haben zuletzt wiederholt und recht eindeutig erklärt, dass sie alles zur Stützung des Wirtschaftssystems unternehmen werden. Und „alles“ hat kein Limit!

Jedoch wird es eine nachhaltige Gesundung unseres Geld- und Wirtschaftssystems dadurch nicht geben. Der Zins hat sich längst verabschiedet, jetzt auch in der größten Volkswirtschaft, den USA. Das notwendige Maß an Risiko wird weiter ansteigen, das man eingehen muss, um Rendite auf seine Ersparnisse zu erhaschen. Größere Cash-Positionen machen deshalb nur auf kurze Frist irgendeinen Sinn. Vielmehr wird es weiterhin auf eine intelligente Verteilung in Anlagewerte ankommen, die für uns Menschen nachhaltig von Wert sind und für die wir bereit sein werden, Geld auszugeben. Diese Werte werden Vermögen auch zukünftig real erhalten können, wenn wir sie noch zu akzeptablen Preisen ergattern können. Das wird eher jetzt als beispielsweise in einem Jahr der Fall sein. Und diese Anlagewerte sind nicht zuletzt jene Unternehmen, welche die Dinge produzieren, die wir in unserem Leben nachfragen.

Es wäre daher ein fataler Fehler, sich jetzt dauerhaft von Aktien abzuwenden. Und es wäre ein ganz grundsätzlicher und kostspieliger Fehler, jetzt die Augen für die sich ergebenden Anlagechancen zu verschließen.

Nutzen Sie Ihr Kapital für eine erfüllte Lebenszeit,
Ihr Jörg Haldorn, CFP, EFA