Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

in diesen Tagen ist es alles andere als langweilig im vereinten Europa! Es ist bildhaft ausgedrückt „richtig Druck auf dem Kessel“. Zahlreiche Themen und die teils sehr unterschiedlichen Auffassungen in den Nationalstaaten lassen den Beobachter erahnen, dass der innere Zusammenhalt der Europäischen Union merklich an Stabilität verliert.

Die fortbestehende Kluft zwischen der Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedsstaaten, die Flüchtlingskrise, das Ukraine-Referendum in den Niederlanden, die Auswirkungen der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank und das im Juni mit Spannung erwartete EU-Referendum in Großbritannien bergen allerhand Sprengstoff für den dauerhaften Zusammenhalt des Gebildes Europäische (Währungs-)Union. Darüber hinaus steht Europa im Visier des Terrors. Diese allgemeine Bedrohungslage ist jedoch derzeit wohl das stärkste bindende Element für den Zusammenhalt der Völker Europas.

EU Krise, Baustelle EuropaZunehmende Meinungsdivergenz zwischen Bürgern und Politikern

Die europapolitische Logik der vergangenen Jahre „Was nicht zusammenpasst, wird einfach passend gemacht!“ droht nachhaltig nicht aufzugehen. Die wählenden Bürger suchen zusehends Parteien, die ihnen den Schutz versprechen, den die etablierten Parteien ihnen nicht zu geben bzw. nehmen scheinen. In der Mitte des Bürgertums, gerade unter den seitens der Politiker vielzitierten Leistungsträgern, macht sich das Gefühl breit, dass die eigenen Interessen und Bedürfnisse im europäischen Zentralismus zu wenig Berücksichtigung finden und dass dieses Polit- und Geldsystem keines ist, das dem Bürger dient.

Dem beharrlich verfolgten politischen Trend der europäischen Zentralisierung steht der Meinungstrend im Bürgertum zu mehr Dezentralisierung, sprich nationaler Souveränität, und Protektionismus bzw. Rechtssicherheit entgegen. Daraus ergibt sich eine überaus spannende Divergenz. Auf die mediale Unterstützung allein sollten sich die etablierten Parteien nicht mehr verlassen, wie die Wahlergebnisse der AfD in Deutschland zeigen. Aber auch Apelle, wie jener des EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz (SPD), die Regierungschefs sollten stärker darum kämpfen, das Herz der Menschen zu erreichen, gehen in die falsche Richtung. Vielmehr sollten die politischen Entscheider den Verstand ihrer Wähler nicht unterschätzen!

Spannend ist diese Divergenz besonders deshalb, weil ihre Auflösung durch eine Rückbesinnung auf mehr nationale Souveränität ja nicht kurzfristig zu mehr Sicherheit und Ruhe führen würde, sondern im Gegenteil den europäischen Kessel zur Implosion führen könnte. Am Beispiel des Euro werde ich das verdeutlichen.

Offener Widerstand gegen die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB)

Leitzinsen von 0,0 %, Einlagenzinsen von -0,4 % und immer massivere Anleihekäufen der EZBvermitteln den Eindruck, dass das Instrumentarium der Geldpolitik bald aufgebraucht sein könnte. In den vergangenen Jahren waren es noch die Proteste einer zwar Aufsehen erregenden aber doch überschaubaren Gruppe rund um Blockupy. Inzwischen hat sich der offene Widerstand signifikant ausgeweitet. Bundesfinanzminister Schäuble äußert öffentlich sein Missfallen über die Nullzinssituation und kündigt Gesprächsbedarf an, obwohl gerade er einer der großen Profiteure dieser Zinspolitik ist. Finanz- und Versicherungswirtschaft sehen ihre zukünftige Geschäftsgrundlage bedroht. Noch nie war die Kritik der Banken, Versicherer und Bausparkassen so laut und einstimmig wie aktuell. Nikolaus von Bombard etwa, Vorstandschef der Münchener Rück, sieht „in der verhängnisvollen Zinspolitik der EZB“ das „Ende der Geldpolitik“ gekommen und beklagt eine „Erosion des Rechts“.

Nach meiner eigenen Auffassung ist diese Erosion seit geraumer Zeit im Gange und hat inzwischen nur eine neue Qualität erreicht. Sparer, die meinen, Eigentümer von Geldguthaben zu sein, sind es per se schon lange nicht mehr. Sie sind lediglich Gläubiger in einem Geldsystem mit 1 % Mindestreservesatz gegenüber Schuldnern (z.B. Banken im Fall von Kontoguthaben), deren Bonität aufgrund der immens angewachsenen Verschuldung immer schwächer geworden ist.

Wer nicht gutgläubig genug für das Funktionieren der staatlichen Einlagensicherung ist und diesem Ausfallrisiko entgehen möchte, trotzdem aber kurzfristig Geld vorhalten will, dem bieten sich kurzlaufende Bundesanleihen als sicherer Hafen. Doch der Preis für diese Sicherheit ist hoch mit einer Rendite von knapp -0,5 %1. Ein weiterer Ausweg besteht in der Bargeldhaltung im Tresor. Letztere Variante gewinnt an Attraktivität, auch bei der Münchener Rück. „Wir testen das jetzt einmal“, so von Bombard. Da ist es nicht verwunderlich, dass die EZB diesem „Terror“ einen ersten Riegel vorschieben möchte und festentschlossen ist, den 500-Euro-Schein abzuschaffen.

Neben Finanzminister Schäuble ergreift längst auch die politische Linke Opposition gegen die EZB-Politik der Nullzinsen und Versuche, die Bargeldfreiheit einzudämmen. Die Authentizität dieser Position befindet sich allerdings auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau wie der aktuelle Leitzins! Denn Ausgangspunkt dieser misslichen Situation rund um unser Geld ist ihr eigenes Gedankenkonstrukt der Wohlfahrtsschöpfung und Umverteilung im Namen der Gleichheit und Gerechtigkeit auf Kosten der Leistungserbringer. In der politischen Kultur des Sowohl-als-auch sind der argumentativen Willkür aber längst keine Grenzen mehr gesetzt.

Die Kosten der EZB-Politik

Ein Blick auf den Zustand des europäischen Rentenmarktes zeigt das Schadenausmaß dieser Geldpolitik wohl am besten. Im Januar 2012 waren Geldmarktpapiere des Bundes mit einer Laufzeit von sechs Monaten erstmals mit negativen Zinsen versehen. -0,01 % Zinsen akzeptierten Anleger, um ihr Geld in Bundespapieren zu sichern. Das Staunen über dieses scheinbar nur vorübergehende Paradoxon war groß. Doch im April 2016 zahlen die Anleger dem deutschen Staat vier Jahre später sogar -0,47 % Zinsen, um ihm Geld für ein halbes Jahr verleihen zu dürfen. Erst eine Geldleihe von 10 Jahren ermöglicht heute einen positiven Zins knapp über null. Jegliche Inflation führt aber in den realen Verlust. Wer sein Vermögen lieber in realen Werten wissen möchte, um auch realen Verlusten vorzubeugen, der braucht gleichermaßen Zeit, um zum Beispiel das Schwankungsrisiko bei Aktien verlässlich zu handeln.

Dass dieses Nullzinsumfeld, als langfristiges Resultat eines ungedeckten Geldsystems, ein gesamtgesellschaftliches Problem ist, wird in den kommenden Jahren noch an den Versorgungs­systemen, wie den Pensionskassen, sichtbar werden. Die Kombination aus allmählich auslaufenden Zinspapieren mit noch höheren Zinskupons und der Wiederanlage zu diesem Marktzinsniveau wird zu einem erheblichen Absinken der Rentenleistungen führen müssen. Niedrigere Renten und/ oder spätere Rentenbeginne werden das konkret bedeuten.

Und schon einmal vorbeugend für die kommenden politischen Apelle: Nein, das sind keine Argumente für eine umlagefinanzierte Gesetzliche Rentenversicherung! Dieses Modell ist noch schädlicher, da es nur noch per Kredit finanzierbar ist und auf Kosten zukünftiger Rentengenerationen gehen wird! Aus welcher Perspektive man es auch betrachtet, dieser Euro wird uns eine gehörige Portion Lebenszeit kosten und damit auch die Freiheit, selbige durch getane Arbeit und Ersparnisse gestalten zu können.

Das Euro-Konzept hält uns darüber hinaus noch weitere unangenehme Überraschungen bereit. Bislang sind es im Wesentlichen die fehlenden Zinsen, die uns Geld kosten. Was aber wird erst sein, wenn es nicht mehr ausreichen wird, dass die EZB die Zinsen derart niedrig hält, damit die systemrelevanten Schuldner in Italien oder Spanien ihren Kapitaldienst weiter zahlen können? Ist die EZB mit ihrem Instrumentarium dann auch in der Lage, diese Ausfälle zu tragen – technisch und buchhalterisch ginge das. Oder kommt es dann zum Haftungsfall des Steuerzahlers und es geht so richtig an unser Eingemachtes? Diesen Lackmustest könnten die italienischen Banken bald bieten.

Die Ursachen der europäischen Krise

Als die Euro-Party vor Ausbruch der Kredit- und Finanzkrise am Laufen war, waren alle „happy together“. Die Peripherieländer hatten alle Zugang zu billigem Kredit, haben damit mehr oder weniger nachhaltige Investitionen und Wahlgeschenke getätigt, und die Kernländer waren Profiteure einer gewachsenen Währungszone und nahmen den relativ schwachen Euro für ihre Exporte dankbar mit. Die Party ist längst vorbei. Das billige Geld stiftete allerhand Anreize für unwirtschaftliche Ausgaben und die Verschuldung drückt nun auf die Staatshaushalte. Was sich nicht geändert hat, ist die große Heterogenität der Euro-Mitgliedsstaaten. Teilnehmer mit völlig andersartiger Wettbewerbsfähigkeit, unterschiedlicher Mentalität und ungleichen Bedürfnissen sehen sich verkatert gegenüber. Was sie noch eint, ist dasselbe große Problem: die „Partydroge“ Euro, der sie aufgesessen sind und deren Entzug sie fürchten müssen.

Den Griechen gelingt es nicht von ihr wegzukommen, weil sie ihre Schulden in einer neuen Drachme nie zurückzahlen werden können und soziale Unruhen zu erwarten wären. Die Deutschen hätten bei einem Euro-Absetzen schlagartig mit signifikant höheren Exportpreisen zu kämpfen und ganz erhebliche Abschreibungen auf ihre Kreditpositionen außerhalb Deutschlands. Kurzfristig würde ein Entzug allen richtig weh tun!

Die positiven Aspekte sind den negativen Folgen dieser wirtschaftspolitisch motivierten Schicksals­gemeinschaft längst gewichen. Die Griechen wollen sich nicht vorschreiben lassen, wann sie in Rente gehen dürfen und auf was sie steuern zu zahlen haben. Die Deutschen wollen den Griechen nicht ihre Rente finanzieren oder ihre Steuerzahlungen abnehmen. Griechen und Deutsche stehen hier nur sinnbildlich für andere Nehmer- bzw. Geberländer und der Unmut aller ist nur zu gut nachvollziehbar. Denn allen kostet die Zwangsjacke Euro schlussendlich Freiheit.

Der politische Plan der Schaffung von wirtschaftlicher Gleichheit und Wahrung der Freiheit zugleich wird die ewige Illusion eines jeden Zentralplaners bleiben.

Wie lange hält der Kessel dem Druck noch stand?

Die Vertreter des Eurosystems in Brüssel und Frankfurt (EZB) kämpfen mit aller Macht weiter um den Zusammenhalt. Doch die Akzeptanz im Volk schwindet, wie es das niederländische Ukraine-Referendum oder die Wahlerfolge eurokritischer Parteien zeigen. Sofern die Briten im Juni tatsächlich für den Austritt aus der EU stimmen sollten, könnte das zum politischen Dammbruch werden.

Den größten Hebel in Richtung Zusammenhalt hat bislang die EZB bewegt. Sie hat die „Droge“ Euro überall dort hin verteilt, wo sie knapp wurde und hat sie so billig gehalten, dass sie bezahlbar blieb. Die Wirksamkeit dieses Mittels lässt aber, ob des übermäßigen Konsums, immer mehr nach und die Nebenwirkungen (Schwächung der Versicherungs- und Finanzwirtschaft sowie der Versorgungs­systeme und Sparer) zeigen langsam bedenkliche Symptome. Anreize zu strukturellen Veränderungen

zu Gunsten einer höheren Wettbewerbsfähigkeit hat die EZB damit sicher nicht kreiert. Wenn sich mit einer solchen Geldpolitik nachhaltig Wohlstand schaffen ließe, müsste es längst eine afrikanische Zentralbank geben!

Die EZB könnte im großen Stil nun noch Bankanleihen kaufen, bestimmte Staatsschulden zins- und tilgungsfrei stellen oder gar Helikoptergeld über das Volk abwerfen. Die Akzeptanz ihrer Maßnahmen ist aber bereits jetzt an Limits gestoßen und man darf durchaus den Eindruck haben, dass diese Erkenntnis auch bei Draghi & Co. schrittweise Einzug hält. Der Hilferuf von Draghi geht bereits in Richtung der Regierungschefs und beinhaltet die Forderung nach einem zeitnahen und umfänglichen Infrastruktur-Masterplan zur Stimulierung der Konjunktur. Unterstützung erfährt er von den Gesinnungsgenossen des Internationalen Währungsfonds (IWF).

Die kreditfinanzierte Planwirtschaft erreicht dann das nächste Level bzw. chinesische Verhältnisse. Die Staatsschuldenstände werden jedenfalls dadurch nicht sinken und eine Zinswende, wie sie seit Jahren in der Finanzwirtschaft erwartet wird, ist damit bis auf weiteres schwer vorstellbar. Außerdem ist es sehr fraglich, ob dadurch ausreichend Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit gesteigert werden können. Es ist bereits ausreichend billiges Geld im Bankensystem vorhanden, um derartige Projekte finanzieren zu können, wenn sie denn fruchtbaren Boden, sprich Rentabilität, versprechen würden!

Wie sollten die Maßnahmen im Vermögen aussehen?

Es gibt ausreichend Anlass in den kommenden Monaten sehr wachsam zu bleiben, wohin sich Europa entwickelt und wie es gelingt, Wirtschaftswachstum zu erzeugen. Daran hängt, ob die hohen Schuldenstände weiter tragbar bleiben und wie die politische Motivation der Schuldenfinanzierung aussehen werden. Ein Auseinanderbrechen des Euros bzw. der Europäischen Union hätte jedenfalls kurzfristig enorme Auswirkungen auf unser Leben und Vermögen.

Unser Wirtschafts- und Finanzsystem befindet sich zwar in enormer Abhängigkeit vom billigen Geld und es schlummern großvolumig faule Kredite in den Bilanzen, doch es gibt selektiv noch genügend Anlagemöglichkeiten, die Stabilität im Vermögen schaffen. Auf diese Alternativen sollten wir uns konzentrieren, anstatt uns in unsicheren Prognosen zu üben, wann „die Bombe platzen könnte“.

Als Investor sollten wir uns zunächst global ausrichten und nicht alles auf Deutschland oder den Euro setzen. Mit globaler Perspektive zeigen sich dann auch noch bonitätsstarke Schuldner im OECD-Raum, die attraktive Zinsen auf ihre sicheren Anleihen zahlen. Das Wechselkursrisiko gilt es hier abzusichern. Desweiteren finden sich sehr zahlreich stabile und innovative Geschäftsmodelle auf Unternehmensebene, die Aktien empfehlenswert werden lassen.

Außerhalb des Börsengeschehens identifizieren wir weiterhin Realwerte, die unseren Investitions­kriterien entsprechen und mit vielversprechenden Chance-Risiko-Verhältnissen aufwarten. Dazu gehören beispielsweise Discountermärkte, Infrastrukturprojekte und selektiv auch nach wie vor die Wohnimmobilie. Der hohe Verschuldungsgrad manches institutionellen Investors bietet sogar außergewöhnliche Anlageopportunitäten für Distressed-Investments im Immobilienbereich.

Für all diejenigen, die weder Vertrauen in den Euro, noch in irgendein Management haben können, bleibt das finale, schuldenfreie Geld: Gold.

Unsere Überzeugung lautet: „Die richtige Mischung macht’s!“ Und die richtige Mischung fällt individuell sehr unterschiedlich aus. Doch dabei gilt für uns in der heutigen Zeit stets die Maxime: „So viel Realwert wie möglich und so viel Geldwert wie nötig!“

Wir stehen Ihnen für Ihre Vermögensausrichtung bereit.

Jörg Haldorn, CFP

Hofheim am Taunus im April 2016

1 Diese Angabe entspricht der derzeitigen Rendite eines Schuldtitels des Bundes mit halbjähriger Laufzeit.