Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

aus zahlreichen Gesprächen rund um die Geldanlage ist regelmäßig die Auffassung meiner Gesprächspartner herauszuhören, dass doch inzwischen alles zu teuer wäre. Aktien böten keine gute Gelegenheit mehr und die Immobilien würden sich mehr und mehr in Richtung Preisblase bewegen. Das eigene Geld bleibt in der Konsequenz, mit real null Prozent verzinst, auf dem Konto oder es geht in den Konsum.

zaldor informiert MarktkommentarSchwerpunkt dieses Kommentars soll es nicht sein, den Gegenbeweis zur „Zu-Teuer-These“ zu führen. Vielmehr wird es darum gehen, denjenigen die diese Auffassung teilen, bewusst zu machen, wie teuer das eigene Verhalten ist.

 

Die Vermögensgleichung

Nähern wir uns dem Erkenntnisgewinn mit einem ersten akademisch anmutenden Schritt und stellen dazu eine Gleichung auf. Diese Gleichung hat Relevanz für all diejenigen, die Lebensqualität mit einem gewissen Maß an materiellen Wohlstand verbinden. Das werden die meisten unter uns sein, wobei jeder seinen eigenen, individuellen Anspruch im Kopf hat.

Bevor wir zur Gleichung kommen, sollten wir uns zuvor noch über den Zusammenhang zwischen Zeit und Geld bzw. Kapital klar werden: Zeit ist für uns alle in diesem Leben ein knappes Gut und Kapital ist in der Lage, diese Lebenszeit zu veredeln.

Ganz ursprünglich betrachtet ist Kapital der Baum, dessen Frucht ist das Geld. Und Geld ist das monetäre Nahrungsmittel für ein erfülltes Leben. Kapital, was hier synonym für Vermögen steht, ist also die monetäre Quelle für nachhaltige Lebensqualität.

Schauen wir uns nun an, wie Kapital entsteht. Normalerweise fällt es nicht vom Himmel oder lässt sich nicht gänzlich mühelos vom Baum pflücken, wie im Garten Eden der zahlreichen Sozialromantiker.

Kapital entsteht vielmehr aus Arbeit oder dem Einsatz von Geld in Produktivkapital, was zugleich Konsumverzicht bedeutet. Um das Bild des Baumes und des natürlichen Kreislaufs noch einmal zu bemühen, so wirkt investiertes Geld wie die Frucht die vom Baum gefallen ist, nicht gleich aufgegessen wird, und dann neue Triebe schlägt – oder eben auch einmal nicht.

Zur Sache bzw. zur Formel: Vermögen entsteht aus dem Faktor Geld in Wechselwirkung mit den Faktoren Rendite, Risiko und Zeit.

Vermögen = Geld x Rendite (Risiko) x Zeit

Im nächsten Schritt werden wir diese Variablen im heutigen Umfeld bewerten, um ihre Bedeutung besser abschätzen zu können

 

Faktor Geld

Wenn wir über Geld nachdenken, stellt sich regelmäßig nicht gleich das Gefühl ein, über ein unbegrenztes Gut zu verfügen. Manch einer wähnt sich am Limit seiner Einkünfte, manch anderer ist sich bewusst, dass mehr Einkommen andersartigen Verzicht mit sich bringt und verzichtet dann doch lieber auf mehr Geld.

Kurzum: Geld bzw. Einkommen ist zwar sicher keine stocksteife Konstante, aber doch irgendwie individuell limitiert. Daher stellen wir für unsere weiteren Gedankengänge den Faktor Geld vereinfachend konstant.

 

Faktor Rendite

Das Zinsdilemma ist uns inzwischen allen bekannt. Scheinbar sichere Zinsen ohne Risiko- und Gedankeneinsatz gibt es real nicht mehr. Banken zahlen für die kurzfristige Geldhaltung sogar Geld und die als sicher erachtete Geldleihe an die bonitätsstärkeren Staaten im Euroraum mit Laufzeiten bis etwa 5 Jahren ist mit Negativzinsen garniert. Der Anleger zahlt also Geld, um sein Geld verleihen zu können. Man mag sich daran irgendwie nicht recht gewöhnen, weil es so absurd ist!

In einem natürlich funktionierenden Geldsystem ohne Zentralbanken, in dem Geld aus Ersparnissen und nicht aus Schulden entsteht, würde es diese asoziale Absurdität nicht geben. Geld hätte immer einen positiven Preis (Zins), weil es aus wertvollen Ersparnissen einer Volkswirtschaft entstanden und knapp wäre und nicht aus alchimistischen Schuldscheinen einer das Geld beherrschenden Kaste käme.

Soll ein wirtschaftlicher und sozialer Kollaps vermieden werden, werden wir dieses unwirkliche Nullzinsszenario noch einige Jahre erleiden müssen. Geld wird sehr billig bleiben, um die systembedingt hohen (Staats-)Schuldenstände bezahlbar zu halten.

Rendite steht in sehr enger Beziehung zum Risiko. In der Geldtheorie existiert zwar eine risikofreie Rendite, in der heutigen Praxis ist diese Rendite aber gleich null. Wer trotzdem eine positive Rendite anstrebt, muss ins Risiko gehen. Und wer eine bestimmte Zielrendite aufrechterhalten möchte, der musste in den zurückliegenden Jahren kontinuierlich seinen Risikoeinsatz erhöhen. Im Anleihebereich, u.a. bei Staatsanleihen, sind die professionellen Investoren stetig die Risikoleiter hochgeklettert, um ihre eigene Existenz mit auskömmlichen Zinseinkünften zu wahren. Ihre Portfolios tragen heute deutlich höhere Risiken, als noch vor fünf Jahren.

Für den Privatanleger taugt diese Verhaltensvorlage nur bedingt. Der private Anleger sollte grundsätzlich an seinem eigenen Risikoprofil ausgerichtet bleiben. Zusätzliche Risiken sollten mit genauem Augenmaß eingegangen werden. Über eine breite Anlageverteilung lassen sich jedoch bestimmte Risikofaktoren gezielt mit integrieren. Sie können der Anlagestruktur so die notwendige Kraft verleihen, um das Privatvermögen dauerhaft überhaupt erst real zu erhalten. Mit einer geringen Dosis und breiter Streuung sind sie zugleich keine Gefahr für schmerzliche Verluste.

 

Die Bedeutung der Zeit für die Rendite

Kommen wir bereits an dieser Stelle, weil er eine so wichtige Rolle spielt, ein erstes Mal auf den Zeitfaktor zu sprechen. Denn Rendite und Risiko haben auch eine zeitliche Perspektive. Greifen wir dazu das Aktienbeispiel auf. Die Aktie gehört in richtiger Dosierung in jede Vermögensverteilung. Regelmäßig ist die Aktie beim deutschen Privatanleger leider viel zu schwach vertreten.

Die Aktie schwankt bekanntermaßen in ihrem Wert, womit wir auch schon den Grund für ihre geringe Beliebtheit beim Privatanleger erwischt hätten. Sie trägt also Risiko. Mit zunehmendem Anlage-horizont nimmt das Verlustrisiko der Aktie jedoch signifikant ab. Dazu wollen wir den US-amerikanischen S&P 500 Index unter die Lupe nehmen und seine 90 Jahre währende Datenreihe bis ins Jahr 1926 zurückverfolgen.

In dieser Zeitspanne gab es 25 Verlustjahre. Nur viermal lässt sich ein Zeitraum von mindestens fünf Jahren entdecken, den die Anleger durchhalten mussten, um verlustfrei zu bleiben. Einen Verlustzeitraum von zehn Jahren sucht man vergebens. Die Aktienindizes anderer lokaler Märkte zeigen ein ähnliches Bild.

An diesem Beispiel wird der „Zeitwert“ für den Kapitalanleger deutlich. Je mehr Zeit für ein Anlageziel da ist, desto geringer ist das Risiko und desto stabiler sind die Renditen. Wer hingegen zögert und zögert und erst spät beginnt, derart wichtige Anlageklassen wie die Aktie in den eigenen Vermögens-aufbau zu integrieren, verschenkt den Zeitwert. Für denjenigen wird die Zeit immer teurer.

 

Faktor Zeit

Mit zunehmendem Lebensalter und wachsenden Verantwortlichkeiten für Familie und im Beruf nimmt auch das Bewusstsein für die Kostbarkeit der Zeit zu. Sie fühlt sich immer knapper an. Den meisten unter uns ist aber noch nicht wirklich bewusst, dass Zeit mit dem Verschwinden der Zinsen noch viel kostbarer geworden ist. Denn die risikogerechte Bildung von Vermögen, um zukünftig freie Zeit zu schaffen, ist dadurch ganz erheblich erschwert. Vor Ausbruch der sogenannten Finanzkrise im Jahr 2007 brachte die Festzinsanlage bei zahlreichen Banken 4 % Zinsen und mehr. Mit 100.000 Euro Anlagesumme ließ sich im Jahr ein Vermögenszuwachs vor Steuern von 4.000 Euro erzielen. Heute liefert diese Anlage nur noch 0,5 % Zinsen bzw. 500 Euro Vermögenszuwachs. Es braucht also das Achtfache an Zeit für den gleichen Vermögenseffekt.

Zeit ist so teuer wie nie zuvor! Und auf den „Preis“ für die Zeit wirken gleich mehrere Faktoren.

Der Zinseffekt sorgt über sinkende Zinsen automatisch für die Verteuerung der Zeit. Daneben hat die Zeit einen das Anlagerisiko minimierenden Effekt, wie es das Aktienbeispiel gezeigt hat. Darüber hinaus möchte ich den „Die-Reise-Nach-Jerusalem“-Effekt und den Timingeffekt beschreiben.

 

Der „Die-Reise-Nach-Jerusalem“-Effekt

Um diesen Aspekt zu vermitteln, halten wir zuvor einen Zinsausblick und beschreiben ein zukünftiges Basisszenario. In den vergangenen acht Jahren ist die weltweite Verschuldung um etwa 80 % gestiegen. Die westlichen Volkswirtschaften haben an dieser Entwicklung einen maßgeblichen Anteil. Die Schuldenstände im System sind hoch, die Staatsschulden lasten auf den Volkswirtschaften. Ein Schuldenabbau ist derzeit nicht vorstellbar. Jahr für Jahr werden stattdessen Netto-Neuverschuldungen produziert. Diese Schuldenquoten sind nur über sehr niedrige Zinsen finanzierbar. Andernfalls drohen Staatspleiten. Eine echte Zinswende ist aktuell illusorisch.

Die Zins- und Anleihemärkte werden auch in den nächsten Jahren mickrige Renditen abwerfen. Für die großen Kapitalsammelbecken, wie Versicherungen oder Pensionskassen, kommt erschwerend hinzu, dass ältere Zinspapiere in den Portfolios mit noch deutlich höheren Zinskupons nach und nach auslaufen. Es herrscht regelrechter Anlagenotstand, um „überlebensfähige“ Renditen zu erhalten. Andere Anlageklassen, wie Immobilien oder Aktien, bieten dagegen noch auskömmliche Renditen. Ein solides Immobilieninvestment[1] hinterlässt aktuell über +3 % Netto-Mietrendite. Aktien[2] stiften derzeit Dividendenrenditen von um die +3 % bei Gewinnrenditen von etwa +6 %.

Diese Investmentalternativen zur Festzinsanlage sind zwar risikoreicher bzw. im Fall der Immobilie aufwendiger und unflexibler, aber sie sind noch Liquiditätsquellen, die die Mühlen weiter laufen lassen. Trotz ihrer Nachteile und bestehender Anlagekonventionen werden diese Anlageoptionen zunehmend stärker gesucht. Die Nachfrage wird die Preise kontinuierlich nach oben treiben und die Renditen dieser Anlagen in Richtung der Zinsen nach unten bewegen. Geld ist das Medium, das letztlich alle Vermögensanlagen miteinander verbindet.

Mit großer Wahrscheinlichkeit werden die Immobilienmärkte der deutschen Metropolregionen dem Beispiel Münchens folgen und dem Investor in wenigen Jahren Mietrenditen von nur noch deutlich unter + 2 % stiften. Es wird zusehends schwieriger werden, Immobilien mit attraktivem Rendite-Risiko-Verhältnis zu lokalisieren.

Wer da zu spät kommt, wird keinen freien Platz mehr erhaschen und sich mit seinem Geld auf den real unverzinsten Hosenboden setzen – wie wir es von dem Die-Reise-Nach-Jerusalem-Spiel aus Kindheits-tagen kennen. Kommt die Inflation dann zurück, wird das ein sehr unbequemer Sitz werden.

 

Der Timingeffekt

Der Timingeffekt wirkt dagegen positiv auf die Bemühungen, sein Vermögen in diesen unwirklichen Zeiten real zu erhalten. Unter der Annahme des eben skizzierten Basisszenarios spricht vieles für weiter steigende Aktienkurse in den kommenden Jahren. Diese Aufwärtsbewegung wird allerdings begleitet werden von einer gewissen Nervosität, die sich als Schwankung Ausdruck verleiht. So führen beispielsweise Signale konjunktureller Schwäche, wie sie im zweiten Halbjahr 2015 aus China kamen, zu signifikanten Korrekturen an den Aktienmärkten. Eine Rezession können sich die großen Volkswirtschaften rund um den Globus aber kaum noch leisten – zu angespannt sind die öffentlichen Haushalte. Es ist mit zügigen und konsequenten Gegenmaßnahmen zu rechnen, die im Wesentlichen aus expansiver Geldpolitik bestehen, was die Aktienmärkte stützt und nach oben drückt.

Die globale Verschuldungssituation und das gebremste Wirtschaftswachstum werden aber immer wieder zu temporären Korrekturen an den Aktienmärkten führen. Wer sich diese Phasen mit Augenmaß und im Rahmen seines individuellen Risikoprofils zunutze macht, bedient sich des Timingeffekts, als Mittel zum langfristig realen Vermögenserhalt.

 

Fazit

Die Zinsen sind historisch niedrig und eine Normalisierung ist nicht in Sicht. Mit der als sicher erachteten Zinsanlage lässt sich Vermögen real nicht mehr erhalten. Über das Medium Geld entwickeln sich auch die Renditen anderer Anlageklassen, wie der Immobilie, allmählich in Richtung des Zinsniveaus.

Für die Sicherung und Bildung von Vermögen ist die Zeit zum zentralen Faktor geworden. Zeit ist teuer wie nie zuvor und sollte, sowohl zur Gestaltung des eigenen Lebens als auch des Vermögens, sehr sorgsam genutzt werden.

Wir stehen Ihnen für Ihre Vermögensausrichtung bereit.

 

Jörg Haldorn, CFP

Hofheim am Taunus im Dezember 2015

[1] Neubau-Eigentumswohnung in innerstädtischer Lage einer Metropolregion

[2] auf Basis MSCI World